Klassismus und Privilegien im Umweltschutz

Von Simone Binder

Wir alle tragen die Verantwortung für umweltgerechtes Handeln. Doch unsere Ressourcen und Privilegien sind ungleich verteilt. Wir verfügen über unterschiedlich hohes Einkommen, unterschiedliche Bildungsgrade, verschiedene soziale Umfelder, verschiedene Berufsfelder. Hinzu kommen Unterschiede in Geschlecht, Hautfarbe, Gesundheitszustand u. v. m. Der ökologische Fußabdruck ist von Person zu Person, je nach Lebensstil und Konsumverhalten sehr unterschiedlich. Daraus ergibt sich eine unterschiedlich große Verantwortung für den Umweltschutz. Je mehr Privilegien, Ressourcen und Macht eine Person in einer Gesellschaft hat, desto größer sind ihre Einflussmöglichkeiten im Umweltschutz.

Ich bin deshalb der Meinung, dass Menschen mit einem höheren ökologischen Fußabdruck auch mehr Verantwortung für den Umweltschutz übernehmen sollten - sozusagen als Wiedergutmachung. Privilegierte Menschen sollten deshalb ihre finanziellen, sozialen und Bildungsressourcen nutzen, um dieser Verantwortung gerecht zu werden. Weniger privilegierte Menschen können ebenfalls ihren Teil zum Umweltschutz beitragen, indem sie das tun, was ihnen möglich ist (dazu haben wir hier ein paar Tipps zusammengestellt). Privilegierte Menschen sollten weniger privilegierte Menschen nicht unter Druck setzen, mehr Umweltschutz zu leisten. Das wäre eine unfaire Verantwortungsverschiebung von den Stärkeren auf die Schwächeren.

Umweltschutz als Lifestyle

Seit einigen Jahren sind Umweltschutz, Ressourcenschonung, Nachhaltigkeit und Minimalismus sehr gefragte Themen. Nicht nur aus ökologischer oder politischer Perspektive, sondern auch ganz konkret auf individueller Ebene. Viele Menschen machen sich heute Gedanken darüber, wie sie ihren ökologischen Fußabdruck verringern können. Dabei hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte ein Imagewandel vollzogen. Die Umweltbewegung der 1970er und 80er Jahre brachte den stereotypen „Öko-Hippie“ hervor. Diese Umweltbewegung übte dank ihrer Beharrlichkeit erfolgreich Druck auf Politik und Wirtschaft aus. Der Nachhaltigkeitsdiskurs wurde damals von NGOs und Bürgerinitiativen dominiert.

Aus dem Öko-Hippie von damals ist mittlerweile ein hipper Öko-Lifestyle geworden. Immer mehr private Firmen, Gründer:innen, Coaches und Influencer:innen in den sozialen Netzwerken übernehmen Nachhaltigkeit als wichtige Marketingstrategie. Umweltschutz ist somit aus dem ökologischen Bereich in den ökonomischen Bereich vorgerückt. Umweltschutz als Lifestyle hat den Vorteil, dass viel mehr Menschen davon angesprochen werden als vom traditionellen Naturschutz des 20. Jahrhunderts. Einerseits könnte man also sagen: Der Zweck heiligt die Mittel, wenn mehr Menschen Spaß an Umweltschutz haben und je mehr Menschen sich nachhaltig verhalten, desto besser.

Andererseits springen immer mehr Unternehmen auf den Nachhaltigkeitszug auf, ohne tatsächlich nachhaltige Werte umzusetzen. Wenn ökologische Nachhaltigkeit eine bloße Fassade bleibt, ein leeres Versprechen, um umweltbewusste Kund:innen anzulocken, sprechen wir von Greenwashing. Im schlimmsten Fall werden sogar umweltschädliche Produkte von Herstellern als umweltfreundlich angepriesen, obwohl sie z. B. schlecht recycelbar sind oder ihre Ressourcengewinnung mit Wasserverschmutzung einhergeht. Verbraucher:innen sollten also wachsam sein und Nachhaltigkeitsversprechen von Konzernen kritisch hinterfragen.

Umweltschutz als Wettbewerb

Einige Verbraucher:innen setzen den Öko-Lifestyle in ihrem Alltag sehr ehrgeizig um. In manchen Kreisen ist daraus sogar eine Art Wettbewerb entstanden. Dabei fallen z. B. Aussagen wie „Ich kaufe nur noch Second Hand Kleidung“, „Ich kaufe ausschließlich auf dem Markt und im Unverpacktladen ein“, „Ich kaufe nie Fast Fashion und ich esse nie Fast Food“. Solange diese Behauptungen der Wahrheit entsprechen, sind sie definitiv lobenswert. Allerdings vergessen viele Menschen, die solche Aussagen tätigen, dass sie über Privilegien verfügen, die nicht jede:r in unserer Gesellschaft hat. Umweltschutz und nachhaltiges Handeln sollten nicht als exklusiver, elitärer Lifestyle inszeniert werden.

Menschen aus ärmeren Haushalten haben oft gar keine andere Wahl als Second Hand Kleidung oder Fast Fashion zu kaufen, weil sie sich andere Kleidung schlicht nicht leisten können. Unverpacktläden haben meist gehobene Preise und schließen somit ebenfalls ärmere Menschen aus. Neben finanziellen Hürden spielt auch Bildungsmangel eine Rolle. Das Erkennen von umweltschädlichen Industrien wie Fast Food oder Fast Fashion erfordert ein gewisses Maß an politischer und ökologischer Bildung. Aufgrund der Omnipräsenz ihrer Filialen und aufgrund ihrer niedrigen Preise sind Fast Food und Fast Fashion umso verlockender für Geringverdiener:innen aus bildungsfernen Milieus.

Diese Beispiele zeigen: Wenn Umweltschutz als hipper Lifestyle oder Wettbewerb inszeniert wird, werden viele Menschen ausgegrenzt. Privilegierte Menschen können sich mit ihrem Umweltschutz profilieren und sich für ihren (vermeintlich) sozialen und ökologischen Einsatz feiern lassen. Diesen Einsatz leisten Menschen aus niedrigeren sozio-ökonomischen Milieus jeden Tag: Sie fahren kleine oder keine Autos, sie bewohnen kleinere Wohnungen oder kleinere Häuser, die weniger stark beheizt werden müssen. Sie fliegen nicht um die Welt, sie machen keine Kreuzfahrten. Aber sie bekommen keine Anerkennung, keine Aufmerksamkeit dafür. Das ist ein klarer Fall von Klassismus. Auch minimalistischer Konsum ist unter privilegierten, gebildeten jungen Erwachsenen sehr angesagt. Dabei sollte man unterscheiden zwischen freiwilligem und unfreiwilligem Minimalismus. Freiwilliger Minimalismus ist Luxus, unfreiwilliger Minimalismus ist Armut.

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Möglichkeiten und Grenzen der individuellen Verantwortung