Schein und Sein - Zero Waste vs. Ökobilanz

Von Simone Binder

Die Zero-Waste-Ästhetik

Der Zero-Waste-Lebensstil wird oft mit einer charakteristischen Ästhetik verbunden: in der Küche stehen Einmachgläser gefüllt mit Getreide und Saaten, im Bad befindet sich nichts außer fester Seife und im Wohnzimmer stehen stilvolle Second-Hand-Möbel. Natürlich darf auch der Indoor Jungle mit zahlreichen (sub)tropischen Pflanzen nicht fehlen. Doch eines fehlt in dieser Ästhetik: Plastik. Denn Plastik lässt sich ja nicht recyceln, oder?

Recycling

Beim Recycling wird unterschieden in werkstoffliche und thermische Verwertung (=Verbrennung). Leider ist der Anteil der werkstofflichen Verwertung bei Plastikverpackungen relativ gering und mehr als die Hälfte wird verbrannt. Außerdem sind die ökologischen Auswirkungen von Plastikmüll auf das Ökosystem sehr problematisch, da Plastik nur sehr langsam abbaubar ist. Während des Abbauprozesses gelangt Mikroplastik in Böden und Gewässer, was sich negativ auf die Nahrungsketten auswirken kann. Mittlerweile wurde Mikroplastik überall auf der Erde nachgewiesen - in den Ozeanen, in der Atmosphäre, im antarktischen Eis und auch im menschlichen Organismus. Die biologischen und gesundheitlichen Auswirkungen von Plastik in unseren Körpern sind noch nicht vollständig geklärt, doch Vorsicht ist besser als Nachsicht.

Zudem weist Plastik schlechtere Recyclingbilanzen auf als Glas, Metall oder organische Materialien wie Holz (s. Umweltbundesamt 2020: Aufkommen und Verwertung von Verpackungsabfällen in Deutschland im Jahr 2018). Allerdings ist die Ökobilanz von Glas, Metall oder Holz nicht unbedingt besser als die von Plastik. Während sich die Zero-Waste-Perspektive fast ausschließlich auf den Abfall der Endverbraucher:innen fokussiert, stellt die Ökobilanz ein umfassenderes Bild aller Umweltwirkungen dar, die bei der Rohstoffgewinnung, bei der Verarbeitung, beim Transport, beim Konsum und bei der Entsorgung eines Produktes entstehen (mehr Infos dazu gibt es beim ifeu-Institut und beim bifa Umweltinstitut).

Plastikphobie

Leider hat sich in Teilen der Zero-Waste-Bewegung eine Art Plastikphobie entwickelt mit der Folge, dass viele Verbraucher:innen u. U. Verpackungsmaterialien mit schlechterer Ökobilanz bevorzugen. Oft werden pauschal Verpackungen aus Einwegglas oder Pappe als „nachhaltiger“ angesehen, weil sie nicht aus Plastik sind. Plastik hat jedoch den großen Vorteil, dass es leicht ist und geringere Transportemissionen als Glas verursacht. Die Produktion von Papier, Karton und Pappe ist energieaufwändiger und belastet Gewässer durch den Einsatz von schädlichen Chemikalien. Zudem kommen immer mehr Verpackungen aus Rezyklat (recyceltes Plastik) auf den Markt. Bei Spül- und Waschmittel sind Flaschen aus Rezyklat bereits sehr verbreitet. Die Realität ist also leider etwas komplexer als bloßer Verzicht auf Plastikverpackungen.

Es ist erfreulich, dass die Zero-Waste-Bewegung so viele Menschen inspiriert, Verpackungsmüll zu sparen und insgesamt ihren Konsum zu hinterfragen, um die Umwelt zu schonen. Doch reicht es, dem Umweltschutz eine hippe Ästhetik zu verleihen? In den letzten Jahren sind nämlich trotz des Zero-Waste-Trends die Verpackungsmüllmengen weiter gestiegen. Ohne Berücksichtigung der Ökobilanzen kann der Zero-Waste-Lifestyle zu einem sogenannten Rebound-Effekt führen: durch den höheren Konsum von vermeintlich „nachhaltigeren“ Produkten werden die ökologischen Vorteile dieser Produkte wieder aufgehoben. Im schlimmsten Fall könnte durch moralische Lizenzierung sogar ein größerer ökologischer Schaden angerichtet werden. Gut gemeint ist nicht unbedingt gut gemacht.

Gemeinsame Verantwortung

Es ist heutzutage kaum möglich, Verpackungsmüll vollständig zu vermeiden. Wer auf dem Land lebt und in die landwirtschaftliche Produktion eingebunden ist, kann zumindest bei Lebensmitteln viel Verpackungsmüll einsparen. Für Stadtbewohner wird es dagegen schon deutlich schwieriger. Hier bleiben nur Wochenmärkte oder Unverpacktläden, um verpackungsfreie Lebensmittel einzukaufen. Dieser Konsum erfordert jedoch häufig einen zeitlichen, organisatorischen und evtl. finanziellen Mehraufwand. Damit sind wiederum Privilegien verbunden, die die Müllvermeidung für viele Menschen unmöglich macht - ein Teufelskreis. Individuelle Verbraucher:innen sollten sich deshalb nicht zu viel Druck machen, denn oft lässt ihnen die Industrie wenig Möglichkeiten, um Verpackungsmüll zu sparen (s. Möglichkeiten und Grenzen der individuellen Verantwortung).

Viele Verbraucher:innen konzentrieren sich bei der Abfallvermeidung zu sehr auf ihren privaten Hausmüll und vergessen dabei die Abfälle, die „hinter den Kulissen“ bei Industrie, Handel und Gewerbe anfallen. Diese Abfälle sind in ihrer Menge weitaus größer als die der privaten Haushalte und belasten die Umwelt um einiges mehr. Hier sind also nicht nur Verbraucher:innen, sondern auch Politik und Wirtschaft gefragt, um die lineare Wirtschaft in Richtung einer Kreislaufwirtschaft zu entwickeln, um Rohstoffe zu schonen und Emissionen einzusparen (s. Cradle to Grave vs. Cradle to Cradle). Müllvermeidung ist eine gemeinsame Aufgabe aller gesellschaftlichen Akteure.

 

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Möglichkeiten und Grenzen der individuellen Verantwortung

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Neokoloniale Umweltzerstörung