Zwischen Greenwashing und Chemophobie

Von Simone Binder

Lange Zeit hatte Naturkosmetik kein cooles Image. Mittlerweile ist sie jedoch aus den kleinen Naturkostläden in alle Drogerien und Parfümerien gewandert und erfreut sich einer wachsenden Beliebtheit. Auch die Zielgruppe hat sich vergrößert und spricht heute ein jüngeres Publikum an. Doch was unterscheidet Naturkosmetik von konventioneller Kosmetik? Es gibt zwar keine einheitlichen Kriterien für Naturkosmetik, jedoch einige Siegel, die bestimmte Standards garantieren. So verzichten die meisten Naturkosmetikhersteller auf rein synthetische Inhaltsstoffe, Erdölprodukte und Tierversuche. Viele Hersteller nutzen zudem natürliche Inhaltsstoffe aus ökologischem Anbau und einige stellen ausschließlich vegane Produkte her. Das bedeutet, Naturkosmetik ist, wie der Name bereits sagt, meist besser für die Umwelt.

Greenwashing

Auch konventionelle Hersteller von Kosmetika nutzen den Naturkosmetiktrend für sich und vermarkten ihre Produkte mit den Worten „natürlich“, „grün“ oder „clean“. Diese Begriffe sind jedoch völlig bedeutungslos, ein klassischer Fall von Greenwashing. Wer diesem Greenwashing nicht auf den Leim gehen will, sollte entweder auf bewährte Naturkosmetik-Siegel achten (z. B. BDIH, Natrue, Ecocert) oder die Inhaltsstoffe kritisch prüfen und nicht nur den Behauptungen des Herstellers glauben. Apps wie Codecheck geben dabei hilfreiche Informationen, was die einzelnen Inhaltsstoffe bedeuten und ob sie evtl. bedenklich sind und warum.

Bedenkliche Inhaltsstoffe

Bei diesen bedenklichen Inhaltsstoffen scheint mir eine Unterscheidung in potenziell gesundheitsschädliche und umweltschädliche Inhaltsstoffe sinnvoll. Verbraucher:innen sollten über alle Risiken aufgeklärt werden, um eine durchdachte Entscheidung für oder gegen ein Produkt treffen zu können. Potenziell gesundheitsschädliche Inhaltsstoffe sind beispielsweise hormonell wirksame Inhaltsstoffe oder Duftstoffe, die allergische Reaktionen auslösen können. Umweltschädliche Inhaltsstoffe sind beispielsweise Mikroplastik oder Silikone, die sich in der Umwelt anreichern und Ökosystemen schaden können (Mehr dazu gibt es bei der Verbraucherzentrale).

Die Entscheidung für potenziell gesundheitsschädliche Inhaltsstoffe muss individuell getroffen werden. Wir haben alle unterschiedliche Haut und unterschiedliche Körper und müssen deshalb Verantwortung für unseren eigenen Körper übernehmen. Am Ende muss also jede Person selbst entscheiden, welche Inhaltsstoffe für sie in Frage kommen und welche nicht. Umweltschädliche Inhaltsstoffe hingegen betreffen uns alle, denn wir teilen unsere Umwelt mit anderen Menschen und Lebewesen. Zudem sind wir vom Zustand unserer Umwelt abhängig, dies gilt insbesondere für Luft und Wasser. Deshalb sind wir alle verantwortlich für die „Gesundheit“ unserer Umwelt.

Berechtigte Kritik oder Chemophobie?

Aus diesem Grund sehe ich die Kosmetikindustrie in der Pflicht, einerseits individuelle Bedürfnisse der Haut zu beachten und Produkte ohne gesundheitsschädliche Inhaltsstoffe anzubieten. Andererseits sollte die Kosmetikindustrie umweltschädliche Inhaltsstoffe in Kosmetikprodukten eliminieren oder zumindest in ihrer Konzentration zu reduzieren. Da einige Inhaltsstoffe tatsächlich ungesund oder umweltschädlich sind, ist es richtig und wichtig, dass wir Inhaltsstoffe kritisch hinterfragen und uns nicht von der Kosmetikindustrie manipulieren lassen. Wir sollten alle darauf achten, welche Produkte wir auf unserer Haut anwenden, denn am Ende des Tages ist sie unser größtes Organ.

Ich warne jedoch vor der pauschalisierenden Verteufelung bestimmter Inhaltsstoffe. Leider hat sich in Teilen der Umweltbewegung eine Art „Chemophobie“ entwickelt. Einige Menschen verteufeln alle „chemischen“ Inhaltsstoffe. Aber was bedeutet das konkret? Lasst mich einmal aufräumen mit dieser Chemophobie:

  1. Alles im Universum ist Chemie, auch unser Körper.

  2. Synthetische Inhaltsstoffe sind nicht per se schädlich (s. EU Kosmetikverordnung)

  3. Natürliche Inhaltsstoffe sind nicht per se gesund (es gibt jede Menge giftige Pflanzen).

  4. Es lohnt sich, wissenschaftliche Studien zu kosmetischen Inhaltsstoffen zu lesen.

Viele Naturkosmetikhersteller verwenden in ihren Produkten Duftstoffe oder ätherische Öle, von denen ein hohes Allergiepotential ausgeht. Diese Inhaltsstoffe sind zwar natürlich, jedoch dermatologisch gesehen nicht für alle Menschen gesund. Hier ist es also wichtig, zu differenzieren, welche Inhaltsstoffe vertragen werden und welche nicht und das ist von Person zu Person sehr individuell. Außerdem ist das Motto „weniger ist mehr“ ratsam, denn viele Hautprobleme können durch zu viele Pflegeprodukte entstehen.

 

Nachteile von DIY-Produkten

DIY-Produkte sind ebenfalls sehr beliebt, um „böse chemische“ Inhaltsstoffe  und Verpackungsmüll zu vermeiden. Das macht zwar Spaß, ist aber nicht unbedingt empfehlenswert. Die Dosierung der Inhaltsstoffe ist eher Glücksache und kann u. U. Allergien auslösen. Außerdem wird zu Hause i. d. R. nicht unter sterilen Bedingungen gearbeitet, weshalb die Produkte leicht verunreinigen und meist nicht lange haltbar sind. Sonnencreme sollte auf keinen Fall selbst hergestellt werden, da hier kein ausreichender UV-Schutz garantiert werden kenn (s. Zero Waste und Gesundheit). Wer trotzdem ohne chemisches Know-How und sterile Utensilien DIY-Experimente machen möchte, sollte nur Produkte für einmalige Anwendungen (z. B. Haarmasken) oder lang haltbare Produkte (z. B. Seife) herstellen.

 

Verpackung

Die Haltbarkeit hat großen Einfluss auf die Qualität der Kosmetikprodukte. Prinzipiell sind Kosmetika länger haltbar, wenn möglichst wenig Sauerstoff an das Produkt gelangt und das Produkt so wenig wie möglich kontaminiert wird. Deshalb sind Tiegel für Cremes eher ungeeignet, weil sie eine große Öffnung haben und das Produkt bei jeder Verwendung verunreinigt werden könnte. Tuben und Pumpspender sind stattdessen besser geeignet, da durch die kleine Öffnung nur wenig Sauerstoff und Keime an das Produkt gelangen.

Doch der Irrglaube, dass Glastiegel umweltfreundlicher wären als Plastiktuben hält sich hartnäckig. Die Ökobilanz von Einwegglas und Deckeln aus Kunststoff ist jedoch nicht besser als die von Plastikverpackungen (s. dazu Ökobilanz, ifeu-Insitut). Zumal einige Hersteller bereits auf Plastikverpackungen aus Rezyklat zurückgreifen, die die Ökobilanz weiter verbessern. Die Idee „Glas statt Plastik“ ist gut gemeint, aber nicht gut durchdacht, denn Müllvermeidung ist mehr als nur Fassade (s. dazu Schein und Sein - Zero Waste vs. Ökobilanz).

Entwicklung der Kosmetikindustrie

Ich möchte niemandem den Spaß am Selbermachen nehmen, aber wir müssen das Rad nicht neu erfinden: die kosmetische Chemie nimmt uns die Arbeit ab, mit Inhaltsstoffen und Formulierungen zu experimentieren. Und bis ein Produkt auf den Markt kommt, muss es sowieso dermatologisch getestet werden. Das bedeutet nicht, dass jede Person dieses Produkt verträgt, aber immerhin hat es einen Prüfprozess durchlaufen. Die Kosmetikindustrie hat die Aufgabe, Angebote für die Nachfrage der Verbraucher:innen zu schaffen. Da immer mehr Personen auf umweltfreundliche und hautverträgliche Produkte wertlegen, reagiert die Kosmetikindustrie entsprechend. Viele Start-ups in der Hautpflegeindustrie verzichten deshalb bei ihren Produkten komplett auf Duftstoffe, Silikone, Parabene, Mineralölprodukte und Tierversuche. Auch immer mehr große konventionelle Kosmetikkonzerne ziehen nach. Die Produzenten geben somit ihren Kund:innen die Wahl, auf bestimmte Inhaltsstoffe zu verzichten. Das sind alles lobenswerte Maßnahmen und insgesamt begrüße ich diese Entwicklung.

 

Fazit

Wir sollten weiterhin kritisch hinterfragen, welche Inhaltsstoffe uns verkauft werden und ob diese schädlich für unsere Gesundheit oder Umwelt sein könnten. Dieser Diskurs sollte jedoch möglichst sachlich und auf der Basis von dermatologischer und chemischer Forschung stattfinden. Sogenannte „natürliche“ oder „saubere“ Inhaltsstoffe führen nicht unbedingt zu einer besseren Haut. Zudem sollte beachtet werden, dass Inhaltsstoffe je nach chemischer Formulierung und von Person zu Person unterschiedlich wirken. Eine gute Hautpflege erfüllt die individuellen Bedürfnisse der Haut. Deshalb sollte sich die Kosmetikindustrie nach unseren Haut- und Umweltbedürfnissen richten, denn wir verdienen eine gesunde Haut und eine gesunde Umwelt.

 

Weiterführende Links:

https://www.codecheck.info/news/Die-Clean-Beauty-Bewegung-Weniger-ist-mehr-401437

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